Tolle Lege
Dienstag, 3. Juni 2008
Denken und Danken
Dienstag, 3. Juni 2008, 01:06
Ja, diese beiden Tätigkeiten scheinen zusammenzugehören. Hans Bürki geht diesem Zusammenhang nach anhand von Tagebuchaufzeichnungen eines norwegischen Widerstandskämpfers aus dem zweiten Weltkrieg und anhand der Tagebücher und Briefe von Nietzsche. Eine seltsame Kombination, wie?
Das Buch heißt "Zwischen Glaube und Skepsis". Hier einige von Bürkis Grundfragen:

Wir fragen: Was tut der Mensch, wenn er dankt? Denkt er als Dankender nicht? Wer dankt, antwortet auf Empfangenes. Der Dank zeigt an, daß Geschenktes empfangen, als Geschenktes zu eigen gemacht worden ist. Der Dankende bedenkt die freie Gabe, die er empfangen hat. Der Dank ist die freie Form des Nachdenkens im gegenüber der freien Gabe.

Solches habe ich in der ganzen mir zugänglichen Philosophie nicht gelesen. Hans Bürki baut auf ganz andere Grundlagen. es klingt gleichzeitig verrückt und sehr schlüssig. Sehr erhellend auch, was er dann zur Skepsis sagt:

Unglaube und Unvernunft beginnen beide im Undank. Das umfassende Rühmen schlägt um in den isolierenden und entzweienden Selbstruhm. Der Freimut des Dankes sinkt ab in die Schwermut des Trotzes. Die Selbstverständlichkeit des Gelingens wird erdrückt vom Gewicht der Schwerkraft. Die im Danken frei empfangene und im Danken frei bleibende Gewißheit des Zusammengehörens von Geber, Gabe und Begabtem weicht der erzwungenen Selbstgewißheit.

Diese Gedanken denkt Bürki nach. Der Widerstandskämpfer Petter Moen schrieb in der Haft mit Drahtstift auf Klopapier ein Tagebuch, dass seine inneren Konflikte während Haft und Folter zeigt. In der Not versucht er Zugang zum Glauben an Jesus zu bekommen, wie er ihm von seiner Mutter nahe gebracht wurde. Und da kehrt sich einiges um: Er muss den in Fleisch und Blut übergegangenen Zweifel so bekämpfen wie die Geistlichen im Mittelalter den Aberglauben, der sich gegen das Evangelium erhebt.

Der Glaube an Gott ist "nichts anderes als" eine Projektion der menschlichen Seele. Das Gebet ist "nichts anderes als" Selbstgespräch mit dem von der Seele erzeugten Gottesbild. Das Gebet ist "nichts anderes als" beruhigend wirkende Auto-Suggestion. Dieses Grunddogma der psychologischen Weltanschauung kehrt in den Überlegungen Petter Moens mit einer Regelmäßigkeit wieder, die er selber als zwanghaft empfindet und gegen die er sich wehrt.

Ähnliches beobachtet Hans Bürki auch bei Nietzsche. Während dieser nach außen den versteckten Nihilismus der Aufklärung bloßstellt und meint, das ginge noch gar nicht weit genug, leidet er in seinen Briefen und Tagebüchern wie ein Hund an der Hoffnungslosigkeit.

"Das Unerträglichste ist doch der Zweifel, das gespensterhaft Halbwirkliche," schreibt Nietzsche im Brief, aber im Werk verherrlicht er den Zweifel als den großen Erlöser....Der durchbrochene Horizont, der die befreiende Grenzerweiterung brachte, öffnete nicht einen neuen Horizont, nur die leere Unendlichkeit steht noch vor ihm. "Das Loch aus dem Nichts ins Etwas" ist nicht gefunden....In einem Brief an F. Overbeck schreibt Nietzsche: "Mein ganzes Leben hat sich vor meinen Blicken zersetzt."

Also, das ist wirklich ein origineller Ansatz, solche Leute und solche Schriften zu vergleichen. Ich kann nur empfehlen, das zu nehmen und zu lesen, und zu denken und zu danken.

Jordanus


P.S.: In einem Dankesbrief an Ernst Jünger aus dem Jahr 1964 brachte Martin Heidegger ein Postscriptum unter, das in diesem Zusammenhang lesenswert ist:

Die Grüße, Wünsche und Geschenke, die mir auf die letzte Wegstrecke des Denkens mitgegeben wurden, sind Ermunterung, Zeichen zugleich ins Unverdiente. Wie soll einer dies Erfreuende gebühren verdanken? Es sei denn, er fragte unentwegt: Was heißt Denken? Heißt es:
Bringen den Dank?

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren



Donnerstag, 29. Mai 2008
Da ist Leben drin!
Donnerstag, 29. Mai 2008, 03:24
Wie schon gesagt, Romane werden überschätzt. Eigentlich passen sie auch gar nicht mehr in unsere Zeit. Romane erzählen meist Geschichten, die sich am Ende irgendwie sinnvoll runden und uns dadurch ein total gutes Gefühl geben. Heutzutage geht es aber doch oft eher darum, jeglichen Sinn zu zertrümmern oder zu "dekonstruieren".
Meine größten Bildungserlebnisse waren keine Romane, sondern Briefe, Tagebücher oder autobiographische Aufzeichnungen. Natürlich wird da auch oft versucht, die Sache abzurunden. Aber manchmal gelingt das einfach nicht. Und dann isses "auch ok".
Der Philologe Hans Bürki schrieb in seinem Buch "Zwischen Glaube und Skepsis":

Studierte ich systematische Werke der Philosophie und der Wissenschaft, erschien mir bald alles erklärt und erklärbar, dafür aber unwirklich, ja leer. Las ich Briefbände, Tagebücher, autobiographische Aufzeichnungen, "welch ein Leben von Nichts-Sein und Alles-Wollen" trieb mir da entgegen!

Was Hans Bürki über Werke der Philosophie und der Wissenschaft gilt, gilt vielleicht auch für Romane. Sie sind unwirklich und leer.
Ganz anders Briefe: Einmal fiel mir zum Beispiel der Briefwechsel von Tucholsky und seiner ersten Frau Mary Gerold in die Hände, die Fritz Raddatz unter dem Titel "Unser ungelebtes Leben" herausgegeben hatte. Da war Leben drin! Fürchterliches und mißlingendes Leben zwar, aber keine Fiktion. Oder Moltkes Briefe an seine Frau, herausgegeben unter dem Titel "Briefe an Freya". Am Ende fand sich ein christliches Zeugnis, wie ich es im 20. Jahrhundert bis dahin nie vermutet hätte.
In seinem letzten Brief erzählt er nämlich von der Verhandlung, die zu seinem Todesurteil führt, obwohl ihm strafrechtlich rein gar nichts nachzuweisen war. Der Brief mündet in das Lob Gottes:

Der entscheidende Satz jener Verhandlung war: "Herr Graf, eines haben das Christentum und wir Nationalsozialisten gemeinsam, und nur dies eine: wir verlangen den ganzen Menschen." Ob er sich klar war, was er damit gesagt hat?

Dann erzählt er sein ganzes Leben so, als wäre es nur darauf hinausgelaufen, in dieser Stunde vor Gericht Zeugnis abzulegen für den Auferstandenen:

Alles bekommt nachträglich einen Sinn, der verborgen war,... das alles ist endlich verständlich geworden durch eine einzige Stunde. Für diese eine Stunde hat der Herr sich alle diese Mühe gegeben.

In einem Roman hätte dies nur platt und konstruiert gewirkt. Wenn es hier auf jemanden platt und konstruiert wirken sollte, hat es schon erhebliches Gewicht zu wissen, dass Moltke später tatsächlich hingerichtet wurde, tatsächlich mit seinem Blut beglaubigt hat, was er da schrieb.

Ich höre auf, denn es ist nichts mehr zu sagen. Ich habe auch niemanden genannt, den Du grüssen und umarmen sollst; Du weisst selbst, wem meine Aufträge für Dich gelten. Alle unsere lieben Sprüche sind in meinem Herzen und in Deinem Herzen. Ich aber sage Dir zum Schluss, kraft des Schatzes, der aus mir gesprochen hat und der dies bescheidene irdene Gefäss erfüllt:

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi
und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft
des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen.


In seiner Autobiographie schrieb der amerikanische Diplomat George Kennan, eine "so große moralische Figur" und "ein Mann mit so umfassenden und geradezu erleuchteten Ideen" wie Moltke sei ihm im Zweiten Weltkrieg auf beiden Seiten der Front nicht wieder begegnet.
Also: Lest mehr Briefe, Tagebücher, Autobiographien. Sie sind vielleicht nicht immer so rund und leicht zu lesen, aber sie sind echt!
Naja, meistens jedenfalls. Es gibt ja auch Leute, die schreiben Tagebücher oder Briefe schon in dem Bewußtsein, dass ihnen die ganze Welt über die Schulter schaut. Das ist vielleicht nicht so authentisch.

Jordanus

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren



Dienstag, 20. Mai 2008
Dem Glück aus dem Wege gehen
Dienstag, 20. Mai 2008, 02:12
In den Kreisen des Bildungsbürgertums ist "Am Morgen vorgelesen" auf NDR 3 das, was für einen Christen die tägliche Andacht ist. Im Studium nahm ich mit Erfolg an dieser Übung teil. Ich schlief bis morgens um halb neun und dämmerte dann zu dieser Sendung in den Tag hinein.
Auf diese Weise habe ich einige gefährliche Bücher beim morgendlichen Dösen in mich hineingesogen: Fontanes "Jenny Treibel", Thomas Manns "Zauberberg" und so weiter. Aber abgesehen von der unsympathischen Stimme Gert Westphals hat mich nichts so geärgert wie die "Geschichte der Manon Lescaut und des Chevalier des Grieux" von Abbé Prevost. Ich habe nicht gewußt, dass man sich noch halb im Schlaf und ohne volles Bewußtsein so ärgern kann.
Der Chevalier des Grieux soll Theologie studieren, verliebt sich aber in die schöne Manon Lescaut, die eigentlich von ihren Eltern für das Kloster bestimmt ist. Die beiden verleben aber nur kurze Momente des ungestörten Glücks, denn die kleine Manon hat die unangenehme Eigenschaft, immer dann abzuspringen, wenn die Lage schwierig wird. Aber der Chevalier holt sie gegen alle Widerstände immer wieder zu sich zurück, auch wenn sie ihn immer wieder verrät und sein ganzes Geld und seine Reputation dabei draufgeht:

Alles, was man in Saint Sulpice über die menschliche Freiheit sagt, ist eine Fabel. Ich werde mein Vermögen und meinen Ruf um deinetwillen verlieren, ich sehe das wohl voraus. Ich lese mein Schicksal in deinen schönen Augen. Aber gibt es wohl einen Verlust, über den mich deine Liebe nicht trösten könnte? Die Vorteile des Reichtums berühren mich nicht, der Ruhm erscheint mir wie ein Rauch. Alle meine Pläne eines geistlichen Lebens waren törichte Einbildungen. Kurz, alle Güter außer denen, die ich von dir erhoffe, sind verächtlich und wertlos, denn sie können sich in meinem Herzen nicht einen Augenblick gegen einen einzigen deiner Blicke halten.

Ja, das klingt vielleicht jetzt nicht so besonders, aber damals, 1731, war das neu!
Ich Döskopp habe mich bei den morgendlichen Lesungen allerdings immer über die Treulosigkeit dieser Frau aufgeregt, die diese Liebe nur erwidert, wenn die Lage gerade günstig ist. Ständig verliert er sie und findet sie unter abenteuerlichen Umständen wieder, bis sie irgendwann in Amerika vor Erschöpfung stirbt und ihn als menschliches Wrack zurückläßt. Nein, das Buch hat mir wirklich keine Freude gemacht.
Bemerkenswert vor allem, dass der Autor eher die bedingungslose Liebe des Chevaliers für das Problem der Geschichte hält:

Man wird in dem Geschick des Herrn des Grieux ein erschreckendes Beispiel für die Gewalt der Leidenschaften finden. Ich schildere hier einen verblendeten jungen Mann, der seinem eigenen Glück aus dem Wege geht und sich freiwillig in das ärgste Unglück stürzt; der bei allen Gaben, durch die sonst eine glänzende Laufbahn verbürgt wird, doch zugunsten eines ruhmlosen und unsteten Lebens auf alle Vorteile des Reichtums verzichtet; der sein widriges Geschick kommen sieht und ihm doch nicht ausweichen will; der davon gequält und bedrückt wird und doch die Heilmittel verschmäht, die man ihm immer wieder anbietet, und die sein Unglück in jedem Augenblicke beenden könnten; kurz einen zwiespältigen Charakter, eine Mischung von Tugenden und Lastern, einen ewigen Gegensatz von guten Vorsätzen und schlechten Handlungen.

Laut Abbé Prevost war der Typ also selber schuld? Naja, damals mag das noch hingehen, da wurde von Frauen ja nicht so viel erwartet, aber heute sollten sie doch gelernt haben, Verantwortung zu übernehmen, wie? Dann muß ich mich auch nicht mehr so aufregen.
Abgesehen von meiner Aufregung nämlich ist das Buch von großer Klarheit und sehr lesbar. Da ich es gerade in einer Buchhandlung unter der Erde wiederentdeckt habe, lese ich es jetzt vielleicht nochmal. Auch wegen Sätzen wie diesem:

Man kann oft nicht über die Vorschriften der Moral nachdenken, ohne mit Verwunderung zu bemerken, dass sie zu gleicher Zeit geschätzt und missachtet werden, und man fragt sich, warum das menschliche Herz doch so seltsam ist, die Ideen des Guten und Vollkommenen zu lieben, um im wirklichen Leben ihnen aus dem Wege zu gehen.

Paulus hätte das anders formuliert, aber so versteht man es auch.

Jordanus

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren



... ältere Einträge