Tolle Lege
Die Totenmaske der Konzeption
Montag, 19. Mai 2008, 01:08
Walter Benjamin wird weithin so hochgeschätzt, dass sich fast niemand traut, ihn auch wirklich zu lesen. Rein zufällig wurde mir das Vergnügen zuteil. Ein seltsames Bändchen mit dem Titel "Einbahnstraße" fiel mir in die Hände. Dort sind lauter Begriffe angegeben, zu denen er kurze Texte schreibt. Es beginnt mit "Tankstelle".
Da stellt er zunächst eine Hypothese auf, mit der ich nicht ganz übereinstimme - sofern ich sie richtig verstehe.

Die Konstruktion des Lebens liegt im Augenblick weit mehr in der Gewalt von Fakten als von Überzeugungen. Und zwar von solchen Fakten, wie sie zur Grundlage von Überzeugungen nie noch und nirgend geworden sind.

Klingt bedeutungsvoll. Aber meint er damit, es gäbe wirklich nackte Fakten? Egal, denn dann kommt was Interessantes: Er schreibt, "literarische Wirksamkeit" könne nur "in strengem Wechsel von Tun und Schreiben zustande kommen". Nur Bücherschreiben reicht anscheinend nicht, denn:

Meinungen sind für den Riesenapparat des gesellschaftlichen Lebens, was Öl für Maschinen; man stellt sich nicht vor eine Turbine und übergießt sie mit Maschinenöl. Man spritzt ein wenig davon in verborgene Nieten und Fugen, die man kennen muß.

Einfach nur Bücher, Artikel usw. schreiben ist also, als wenn man Öl über einen Motor gießt. Irgendwie unsachgemäß. Soweit das Thema "Tankstelle". Der Sinn des Titels erschließt sich erst zum Schluß.
Toll auch der Aphorismus auf dem Buchrücken: "Das Werk ist die Totenmaske der Konzeption". Was soll das schon wieder heißen? Verfälscht alles Niederschreiben oder Ausführen die eigentlichen Gedanken? Geht da was verloren, wie beim Übersetzen von der einen in die andere Sprache?
Zwischendurch macht er unter dem Titel "Kaiserpanorama" eine "Reise durch die deutsche Inflation". Man findet immer wieder feine Beobachtungen:

...die Leute haben nur das engherzigste Privatinteresse im Sinne, wenn sie handeln, zugleich aber werden sie in ihrem Verhalten mehr als jemals bestimmt durch die Instinkte der Masse. Und mehr als jemals sind die Masseninstinkte irr und dem Leben fremd geworden.

Was wohl Adam Smith dazu sagen würde? Der meinte schließlich, die Verfolgung der Privatinteressen trüge automatisch zum allgemeinen Wohl bei.
Hier gäbe es noch viel zu entdecken, aber das soll erstmal reichen.

Jordanus

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