Tolle Lege
Montag, 14. Mai 2012
Wem soll man glauben?
Montag, 14. Mai 2012, 21:17
Ich befinde mich gerade in einem Dilemma. Mit sehr viel Sympathie lese ich Blogs, die aus kommunistischer und sozialistischer Sicht die derzeitige Finanz- bzw. die Bankenkrise darstellen. Für sie scheint die politische und wirtschaftliche Führungsschicht eine einzige korrumpierte, korrupte und gut vernetzte Mafia zu sein, die sich gegenseitig Posten und Geld zuschiebt. Seit Jahrzehnten betreiben diese Leute in dieser Sicht unter der Flagge des Neoliberalismus Sozialabbau und Privatisierungen, tun dabei aber nichts anderes als unter dem Deckmantel des Wettbewerbs und der "sozialen Marktwirtschaft" Strukturen zu zerstören und Menschen in die faktische Versklavung zu treiben. Die Banken schaffen es laut ihrer Interpretation, die sich immer mehr durchsetzt, von ihrer Verantwortung für die Krise abzulenken und sie der Politik und den Bürgern aufzubürden, die das Geld ja schließlich genommen hätten und selber schuld wären. Diese Sicht hat im Moment sehr viel für sich.
Auf der anderen Seite argumentieren die Wirtschaftsliberalen, die westliche Welt hätte sich mit dem munteren Schuldenmachen selbst in diese Lage hineinmanövriert, aus der man nur durch eisernes Sparen und Wirtschaftswachstum ohne zusätzliches Schuldenmachen herauskäme. Ich habe rein zeitlich, aber auch fachlich keine Möglichkeit, diese Sichtweisen zu überprüfen. Manchmal erscheinen mir die linksgerichteten Positionen zu überzogen und einseitig, die anderen nerven durch ihre Selbstgefälligkeit und durch die Wiederholung der immer gleichen leeren Argumente. Es ist eigentlich eine Art Glaubenskrieg. Das einzige, was sicher ist, ist die Krise. Es ist natürlich (noch) hochinteressant, das alles zu beobachten. Das erlebt man in dieser Form vielleicht nur einmal im Leben. Spannend wird es auch sein, spätere Einschätzungen zu hören. Aber irgendwie fühle ich mich angesichts dieses Geschehens doch etwas ratlos. Doch, nach nunmehr fast vier Jahren kann ich das sagen. Es ist allerdings auch ganz schön zu sehen, wie schnell Gewissheiten erschüttert werden können. Auf der anderen Seite ist es schockierend, wie wenig unsere Einschätzungen der Wirklichkeit mit derselbigen zu tun haben, wie verschieden Daten und Fakten interpretiert werden. Es geht letztlich vielleicht wirklich nur um die Frage, wer sich am Ende durchsetzt.

Jordanus

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Donnerstag, 8. September 2011
Die Beste aller möglichen Welten?
Donnerstag, 8. September 2011, 14:04
Logik ist nicht immer zwingend: Leibniz fand, da Gott allmächtig sei, müsse er die Beste aller möglichen Welten erschaffen haben. Ein paar Jahre nach dem Erdbeben in Lissabon, bei dem 30000 Menschen ums Leben kamen, veröffentlichte Voltaire seine polemische Entgegnung auf diese These: Den Roman "Candide oder der Optimismus". Der Held Candide wird hier über den Zustand der Welt eines Besseren belehrt.
Leider werden Apologien des Christentums oft mit dem "Christentum an sich" identifiziert. Dabei finden sich schon im "Candide" christliche Gegenpositionen zu Leibniz' These. Ein holländischer Kaufmann zum Beispiel antwortet wie folgt auf Candides Behauptung, wir lebten in der besten aller möglichen Welten:
"Die Menschen müssen die Natur schon ein bißchen verdorben haben, weil sie doch nicht als Wölfe geboren werden und sind doch Wölfe geworden: Gott hat ihnen weder Vierundzwanzigpfünder noch Bajonette gegeben, und sie schufen sich Bajonette und Kanonen, einander zu vernichten. Ich könnte die Bankrotte noch in Rechnung bringen, sowie die Justiz, die sich des Hab und Guts der Bankrottierer bemächtigt, damit die Gläubiger das Nachsehen haben."
Ich finde es sympathisch, dass damit der erklärte Atheist Voltaire auch Christen eine Stimme gibt. Vielleicht hatte er sogar Sympathien für manche christliche Utopie. Als Candide etwa einen Weisen aus dem Schlaraffenland Eldorado fragt, wie sie dort zu Gott beten, meint der:
"Wir beten gar nicht zu ihm, wir haben ja nichts zu begehren, er hat uns doch alles gegeben, was wir brauchen: wir danken ihm ohne Unterlaß."
Als Candide Priester sehen will, meint der Weise: "Liebe Freunde, wir alle sind Priester; der König und alle Hausväter singen allmorgendlich feierliche Dankgesänge, und fünf- oder sechstausend Musiker begleiten sie."
Was Voltaire hier als Utopie zeichnet, ist eigentlich ein Bestandteil evangelischen Selbstverständnisses. Woher er das wohl hat?
Ich bin zwar noch nicht ganz durch, finde aber, dass das ein äußerst unterhaltsames und aufschlussreiches Buch ist. Ich sollte mehr alte Franzosen lesen...

Jordanus

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Freitag, 26. August 2011
Mein armer Fritz
Freitag, 26. August 2011, 23:44
Preussen - das steht für Härte gegen sich selbst, Revolution von oben, Militarismus und andere heutzutage nicht so angenehme Themen. Revolution von oben gibt es zwar immer noch in Deutschland, aber anders als früher ist es besser als Demokratie getarnt.
Es hätte anders kommen können. Nach dem ersten Weltkrieg hob eine Diskussion an, was gewesen wäre, wenn der als liberal und volksnah geltende Kronprinz Friedrich Wilhelm nicht nur als Hundert-Tage-Kaiser Friedrich III. in die Geschichte eingegangen wäre. Gerade lese ich ein Biografie über ihn von Werner Richter, in der das Bedauern über den Verlauf der Geschichte und die Sympathie für den Sohn Wilhelms I. einem auf jeder Seite entgegenspringt. Richter hat diese Biografie 1938 geschrieben - angesichts der damaligen Situation ist das Bedauern begreiflich.
Richter betont vor allem die zweifelhafte Rolle Bismarcks, der eigentlich alle irgendwie im Griff hatte und sie gegeneinander ausspielte. Gerade der Kronprinz kam dabei nicht immer gut weg, auch wenn er in manchen Fällen Bismarck unterstützte. Kaiser Wilhelm I. war sich offensichtlich nicht sicher, ob er seinem Nachfolger in allem trauen konnte. Darin wurde er natürlich von Bismarck immer wieder bestärkt, denn Bismarck hatte für die fortschrittlichen Neigungen des Kronprinzen nichts übrig.
Die Fronten in diesem inneren Kampf ziehen sich durch die ganze Hohenzollern-Familie und durch das ganze deutsche Reich. Vielleicht ist das normal in Herrscherfamilien, in denen es halt Zank und Streit gibt wie woanders auch. Am Ende, und das fand ich besonders rührend, bricht trotz allem beim alten Wilhelm die Vaterliebe durch. Das Schicksal, das seinen Sohn trifft, ist doch zu hart. Er erkrankt an Kehlkopfkrebs und stirbt innerhalb eines Jahres.
Während der Sohn in San Remo weilt, um in diesem schonenden Klima die schlechten Chancen auf Überleben zu erhöhen, liegt der Kaiser in Berlin mit einer schweren Erkältung darnieder. Der Kaiser hört die furchtbaren Nachrichten über den Verlauf der Krankheit seines Sohnes von seinem Enkel Wilhelm, dem späteren Kaiser Wilhelm II.
In den Momenten, in denen er sich unbeobachtet glaubt, hören seine Diener den alten Kaiser im Bett leise klagen: "Mein Fritz, mein armer Fritz."

Jordanus

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