Plutonische Dialoge
Dienstag, 12. August 2008, 23:49
Eine Wanderung, 1924, zwischen Kreuth und Achensee in Bayern. Die Wanderer sind wegen des Nebels orientierungslos und suchen einen Ausweg.
Der Nebel wurde stellenweise so dicht, daß wir die anderen aus dem Blickfeld verloren und uns nur noch durch Rufen verständigen konnten. Aber gleichzeitig wurde es über uns heller. Die Helligkeit fing an zu wechseln. Wir waren offenbar in ein Feld ziehender Nebelschwaden gelangt, und mit einem Mal konnten wir zwischen zwei dichteren Schwaden die helle, von der Sonne beleuchtete Kante einer hohen Felswand erkennen, deren Existenz wir nach unserer Karte schon vermutet hatten. Einige wenige Durchblicke dieser Art genügten, um uns ein klares Bild der Berglandschaft zu vermitteln, die wahrscheinlich vor und über uns lag; und nach weiteren zehn Minuten scharfen Anstiegs standen wir auf einer Sattelhöhe über dem Nebelmeer in der Sonne. Im Süden waren die Spitzen des Sonnwendgebirgs und dahinter die Schneegipfel der Zentralalpen in voller Klarheit zu erkennen, und über unseren weiteren Aufstiegsweg gab es keinerlei Zweifel.
Der Physiker Werner Heisenberg verglich mit diesem Aufstieg durch den Nebel zur Sonne die Lage der Atomtheorie im Jahre 1924. Bald nach diesem Ereignis hat er während eines Kuraufenthalts auf Helgoland die entscheidenden Grundideen für die Entwicklung der Quantentheorie.
Das alles steht in einem kleinen Büchlein namens "Quantentheorie und Philosophie", in dem einige Aufsätze von Werner Heisenberg versammelt sind. Beinahe durchgehend beginnt er diese Aufsätze mit der Schilderung eines Zusammentreffens verschiedener wichtiger Physiker, das meistens in einen Spaziergang im Garten mündet, bei dem dann physikalische und metaphysische Probleme erörtert werden.
Ich weiß nicht, ob Heisenberg ein so gutes Gedächtnis hatte oder ob er diese Dialoge nur sinngemäß wiedergibt. Bemerkenswert daran ist jedenfalls, dass er überhaupt so eine lockere Form wählt, um physikalische und philosophische Probleme darzustellen. Es ist dieselbe Form, der sich auch Platon vor mehr als zweitausend Jahren bediente.
Da man viele der Protagonisten kennt, ist das ziemlich kurzweilig und lehrreich, auch wenn die Dialoge hier und da etwas unauthentisch klingen. Meistens ist übrigens der junge Carl Friedrich von Weizsäcker dabei, der meistens argumentative Breschen reißt, während Heisenberg vornehm schweigend dem Gang des Gespräches lauscht. Es klingt leicht gönnerhaft, wie Heisenberg die Wortmeldungen von Weizsäcker einleitet:
Carl Friedrich fing nun an, die Voraussetzungen der Kantschen Philosophie etwas genauer zu analysieren
oder
Aber Carl Friedrich wollte nicht lockerlassen
oder
Carl Friedrich antwortete nun sehr mutig, daß er gerade aus der Naturwissenschaft die Berechtigung zu einer etwas optimistischeren Auffassung nehme.
Lustig ist das vor allem, wenn man diesen Carl Friedrich noch als öffentliche graue Eminenz kennt, die auf Kirchentagen das Wort ergreift.
Bei dem allen wurde mir deutlich, dass Heisenberg aus einem großen Fundus an klassischer Bildung schöpft. Auch bei seinen Gesprächspartnern kann man in dieser Hinsicht ein hohes Niveau voraussetzen. Vielleicht ist es gerade das, was sie so erfolgreich gemacht hat. Die Fähigkeit, in der Physik bis dahin Undenkbares zu denken, ergab sich aus ihrer klassischen Bildung, die heute von Exzellenziniativen übergangen wird, weil sie nicht meßbar ist und für die Politik nicht von unmittelbarem Nutzen zu sein scheint.
Dabei ist nach wie vor die Philosophie die Grundlage des wissenschaftlichen Denkens. Wer seine eigenen Methoden begreifen will, sollte ein bißchen Ahnung davon haben. Wie Heisenberg. Oder Weizsäcker. Ich meine natürlich Carl Friedrich.
Jordanus
Der Nebel wurde stellenweise so dicht, daß wir die anderen aus dem Blickfeld verloren und uns nur noch durch Rufen verständigen konnten. Aber gleichzeitig wurde es über uns heller. Die Helligkeit fing an zu wechseln. Wir waren offenbar in ein Feld ziehender Nebelschwaden gelangt, und mit einem Mal konnten wir zwischen zwei dichteren Schwaden die helle, von der Sonne beleuchtete Kante einer hohen Felswand erkennen, deren Existenz wir nach unserer Karte schon vermutet hatten. Einige wenige Durchblicke dieser Art genügten, um uns ein klares Bild der Berglandschaft zu vermitteln, die wahrscheinlich vor und über uns lag; und nach weiteren zehn Minuten scharfen Anstiegs standen wir auf einer Sattelhöhe über dem Nebelmeer in der Sonne. Im Süden waren die Spitzen des Sonnwendgebirgs und dahinter die Schneegipfel der Zentralalpen in voller Klarheit zu erkennen, und über unseren weiteren Aufstiegsweg gab es keinerlei Zweifel.
Der Physiker Werner Heisenberg verglich mit diesem Aufstieg durch den Nebel zur Sonne die Lage der Atomtheorie im Jahre 1924. Bald nach diesem Ereignis hat er während eines Kuraufenthalts auf Helgoland die entscheidenden Grundideen für die Entwicklung der Quantentheorie.
Das alles steht in einem kleinen Büchlein namens "Quantentheorie und Philosophie", in dem einige Aufsätze von Werner Heisenberg versammelt sind. Beinahe durchgehend beginnt er diese Aufsätze mit der Schilderung eines Zusammentreffens verschiedener wichtiger Physiker, das meistens in einen Spaziergang im Garten mündet, bei dem dann physikalische und metaphysische Probleme erörtert werden.
Ich weiß nicht, ob Heisenberg ein so gutes Gedächtnis hatte oder ob er diese Dialoge nur sinngemäß wiedergibt. Bemerkenswert daran ist jedenfalls, dass er überhaupt so eine lockere Form wählt, um physikalische und philosophische Probleme darzustellen. Es ist dieselbe Form, der sich auch Platon vor mehr als zweitausend Jahren bediente.
Da man viele der Protagonisten kennt, ist das ziemlich kurzweilig und lehrreich, auch wenn die Dialoge hier und da etwas unauthentisch klingen. Meistens ist übrigens der junge Carl Friedrich von Weizsäcker dabei, der meistens argumentative Breschen reißt, während Heisenberg vornehm schweigend dem Gang des Gespräches lauscht. Es klingt leicht gönnerhaft, wie Heisenberg die Wortmeldungen von Weizsäcker einleitet:
Carl Friedrich fing nun an, die Voraussetzungen der Kantschen Philosophie etwas genauer zu analysieren
oder
Aber Carl Friedrich wollte nicht lockerlassen
oder
Carl Friedrich antwortete nun sehr mutig, daß er gerade aus der Naturwissenschaft die Berechtigung zu einer etwas optimistischeren Auffassung nehme.
Lustig ist das vor allem, wenn man diesen Carl Friedrich noch als öffentliche graue Eminenz kennt, die auf Kirchentagen das Wort ergreift.
Bei dem allen wurde mir deutlich, dass Heisenberg aus einem großen Fundus an klassischer Bildung schöpft. Auch bei seinen Gesprächspartnern kann man in dieser Hinsicht ein hohes Niveau voraussetzen. Vielleicht ist es gerade das, was sie so erfolgreich gemacht hat. Die Fähigkeit, in der Physik bis dahin Undenkbares zu denken, ergab sich aus ihrer klassischen Bildung, die heute von Exzellenziniativen übergangen wird, weil sie nicht meßbar ist und für die Politik nicht von unmittelbarem Nutzen zu sein scheint.
Dabei ist nach wie vor die Philosophie die Grundlage des wissenschaftlichen Denkens. Wer seine eigenen Methoden begreifen will, sollte ein bißchen Ahnung davon haben. Wie Heisenberg. Oder Weizsäcker. Ich meine natürlich Carl Friedrich.
Jordanus