Kein Geist wird davon fett
Sonntag, 30. März 2008, 16:38
Wißt Ihr, wie man bei literarisch interessierten jungen Frauen nachhaltigen Eindruck schinden kann?
Man muß Ihnen nur erzählen, dass Romane scheiße sind und dumm machen. Sowohl für gebildete jungen Damen als auch bei TrivialromankonsumentInnen hat diese Aussage geradezu etwas Blasphemisches. Denn durch das Lesen von Romanen haben sie und wir eine Vorstellung von der Wirklichkeit entwickelt.
Schon 1698 schrieb der Schweizer Pastor Gotthard Heidegger ein Pamphlet wider den Konsum dieser modernen literarischen Form mit dem Titel
Mythoscopia Romantica: oder
Discours von den so benanten Romans,
Das ist erdichteten Liebes-, Helden - und
Hirtengeschichten: von dero Uhrsprung,
Einrisse, Verschidenheit, Nütz- oder
Schädlichkeit: Samt Beantwortung aller
Einwürffen, und vielen besonderen Historischen
und anderen anmüthigen Remarques
Heidegger gibt in diesem Buch Gespräche wieder, die er als Pfarrer der St. Margarethen-Kirche in St. Gallen 1697 und 1698 mit einem literarischen Freundeskreis geführt hat. Zum Beispiel solches kann man dort lesen:
Die Romans setzen das Gemüth mit ihren gemachen Revolutionen, freyen Vorstellungen, feurigen Ausdruckungen und anderen bunden Händeln in Sehnen, Unruh, Lüsternheit und Brunst, nehmen den Kopf ganz in Arrest, setzen den Menschen in ein Schwitzbad der Passionen, verderben folgens auch die Gesundheit, machen Melancholicos und Duckmauser, der Appetit vergeth, der Schlaff wird verhinderet und walzt man sich im Beth herum, als wie die Tür in der Angel...
Klingt doch gut, oder? Besonders schön ist der Bezug auf Sprüche 26, Vers 9: "Ein Fauler wendet sich im Bette wie die Tür in der Angel." Als eifriger Romanleser weiß ich, was er meint. Denn Romane machen nicht nur dumm, sondern auch faul. Die Realität rückt in die Ferne und man beginnt, alles wie durch eine gläserne Wand zu betrachten, als ginge es uns nichts mehr an.
Aber nicht nur durchgeknallte Barockliteraten äußerten sich so. Elias Canetti schrieb im letzten Jahrhundert:
Nur wird von Romanen kein Geist fett {...}: sie zersetzen den besten Charakter. Man lernt sich in allerlei Menschen einfühlen. Am Hin und Her gewinnt man Geschmack. Man löst sich in die Figuren auf, die einem gefallen. Jeder Standpunkt wird einem begreiflich. Willig überläßt man sich fremden Zielen und verliert für länger die eigenen aus den Augen. Romane sind Keile, die ein schreibender Schauspieler in die geschlossene Person seiner Leser treibt. Je besser der Keil und der Widerstand berechnet sind, um so gespaltener läßt er die Person zurück. Romane müßten von Staats wegen verboten sein.
Soweit Canetti. Dummerweise steht diese Kritik in dem Roman "Die Blendung". Aber es ist sein erster und sein letzter, wenn ich das richtig sehe. Hinterher schrieb er nur noch Essays und seine großartige Autobiographie, für die er immerhin den Nobelpreis bekam.
Das sind doch ganz anständige Referenzen für eine Kritik, wie? So beeindruckt man also literarisch interessierte Weibspersonen. Ob es der weiteren Entwicklung einer Beziehung dienlich ist, weiß ich natürlich nicht.
Aber zumindest ist das Denken befreit, in neue Dimensionen aufzubrechen. Und viel Zeit spart man auch.
Die Unbelehrbaren können natürlich gerne weiterlesen. Vielleicht finden sie auch in diesem Blog den einen oder anderen Beitrag zu einem Roman, der sie vor der totalen Gehirnerweichung bewahrt.
Jordanus
Man muß Ihnen nur erzählen, dass Romane scheiße sind und dumm machen. Sowohl für gebildete jungen Damen als auch bei TrivialromankonsumentInnen hat diese Aussage geradezu etwas Blasphemisches. Denn durch das Lesen von Romanen haben sie und wir eine Vorstellung von der Wirklichkeit entwickelt.
Schon 1698 schrieb der Schweizer Pastor Gotthard Heidegger ein Pamphlet wider den Konsum dieser modernen literarischen Form mit dem Titel
Mythoscopia Romantica: oder
Discours von den so benanten Romans,
Das ist erdichteten Liebes-, Helden - und
Hirtengeschichten: von dero Uhrsprung,
Einrisse, Verschidenheit, Nütz- oder
Schädlichkeit: Samt Beantwortung aller
Einwürffen, und vielen besonderen Historischen
und anderen anmüthigen Remarques
Heidegger gibt in diesem Buch Gespräche wieder, die er als Pfarrer der St. Margarethen-Kirche in St. Gallen 1697 und 1698 mit einem literarischen Freundeskreis geführt hat. Zum Beispiel solches kann man dort lesen:
Die Romans setzen das Gemüth mit ihren gemachen Revolutionen, freyen Vorstellungen, feurigen Ausdruckungen und anderen bunden Händeln in Sehnen, Unruh, Lüsternheit und Brunst, nehmen den Kopf ganz in Arrest, setzen den Menschen in ein Schwitzbad der Passionen, verderben folgens auch die Gesundheit, machen Melancholicos und Duckmauser, der Appetit vergeth, der Schlaff wird verhinderet und walzt man sich im Beth herum, als wie die Tür in der Angel...
Klingt doch gut, oder? Besonders schön ist der Bezug auf Sprüche 26, Vers 9: "Ein Fauler wendet sich im Bette wie die Tür in der Angel." Als eifriger Romanleser weiß ich, was er meint. Denn Romane machen nicht nur dumm, sondern auch faul. Die Realität rückt in die Ferne und man beginnt, alles wie durch eine gläserne Wand zu betrachten, als ginge es uns nichts mehr an.
Aber nicht nur durchgeknallte Barockliteraten äußerten sich so. Elias Canetti schrieb im letzten Jahrhundert:
Nur wird von Romanen kein Geist fett {...}: sie zersetzen den besten Charakter. Man lernt sich in allerlei Menschen einfühlen. Am Hin und Her gewinnt man Geschmack. Man löst sich in die Figuren auf, die einem gefallen. Jeder Standpunkt wird einem begreiflich. Willig überläßt man sich fremden Zielen und verliert für länger die eigenen aus den Augen. Romane sind Keile, die ein schreibender Schauspieler in die geschlossene Person seiner Leser treibt. Je besser der Keil und der Widerstand berechnet sind, um so gespaltener läßt er die Person zurück. Romane müßten von Staats wegen verboten sein.
Soweit Canetti. Dummerweise steht diese Kritik in dem Roman "Die Blendung". Aber es ist sein erster und sein letzter, wenn ich das richtig sehe. Hinterher schrieb er nur noch Essays und seine großartige Autobiographie, für die er immerhin den Nobelpreis bekam.
Das sind doch ganz anständige Referenzen für eine Kritik, wie? So beeindruckt man also literarisch interessierte Weibspersonen. Ob es der weiteren Entwicklung einer Beziehung dienlich ist, weiß ich natürlich nicht.
Aber zumindest ist das Denken befreit, in neue Dimensionen aufzubrechen. Und viel Zeit spart man auch.
Die Unbelehrbaren können natürlich gerne weiterlesen. Vielleicht finden sie auch in diesem Blog den einen oder anderen Beitrag zu einem Roman, der sie vor der totalen Gehirnerweichung bewahrt.
Jordanus