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Geroks Gliederungen
Mittwoch, 18. Juni 2008, 02:11
Ich hatte ein schlechtes Gewissen, als ich die ganzen alten Bücher aus einem alten Diakonissenheim nahe der polnischen Grenze mitnahm. Eine von den Diakonissen schaute mir so trübsinnig hinterher. Ich kam mir vor wie ein plündernder Kapitalist. Der alte Pastor aber versicherte mir, die Bücher würde wirklich niemand mehr brauchen.
Unter den Büchern war auch ein Band mit Predigten von Karl Gerok. Sie waren nach den Sonntagen des Kirchenjahres geordnet. Eine Predigt vom 12. Sonntag nach Trinitatis stammte von 1849 und handelte von Johannes 8, 31-45. Jesus redet mit den Juden, die an ihn glauben. Er erklärt ihnen, wenn sie in seiner Rede blieben, würden sie die Wahrheit erkennen und die Wahrheit würde sie frei machen. Die Juden wundern sich und fragen, wieso sie denn frei werden sollen, sie seien doch niemandes Knechte. Jesus sagt: "Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht!"
Der Text ist noch ein bißchen länger, aber ich geb jetzt nicht alles wieder.
Wie redet nun Gerok über diesen Text?
Er redet erstmal von Freiheit. Ein brisantes Thema zu der Zeit. Die Revolution vom März 1848 war ein Jahr her, und im Badischen hatten die Preußen gerade den von Hecker geführten Aufstand blutig niedergeschlagen. Man kann das alles schön nachlesen im Stefan Heyms Roman "Lenz oder die Freiheit".
Karl Gerok nimmt vor diesem Hintergrund den Faden auf:
Es gibt ein Wort, das wie mit Zauberklang die Herzen der Menschen ergreift. Es klingt in die trübe, schwere Gegenwart herüber wie die Erinnerung an alte, goldene Zeiten und wie die Weissagung einer besseren, schöneren Zukunft. Die edelsten Thaten sind geschehen unter dem begeisternden Panier dieses Wortes, und die schwärzesten Verbrechen sind verübt worden auf Rechnung dieses Wortes. Blut und Thränen ohne Maß hat dieses Wort schon über die Erde gebracht und immer wieder doch bezaubert es die Herzen. Der Sklave lechzt danach in seinen Ketten, der Kranke betet darum in seinen Schmerzen, der Taglöhner seufzt danach im Schweiße seines Angesichts, der Menschenfreund denkt daran in seinen Planen und Entwürfen. Es gibt Zeiten, wo dieses Wort ein Sturm wird, der ganze Völker ergreift, wo es in allen Herzen wie ein Feuer brennt, in allen Adern wie ein Fieber tobt, von allen Lippen wie ein Evangelium erklingt; wo die ganze Gestalt der Welt erschüttert und umgewühlt wird durch dieses Wort, als sollte ein Weltbrand daraus entstehen, bis das Feuer ausgebrannt hat, bis der Sturm ausgewüthet hat, bis das Fieber vertobt hat, bis der Traum zerronnen ist und die Menschheit erwacht und sich ernüchtert die Augen reibt.
Wir kennen's Alle, dieses Wort. Es ist auch durch unsere Zeit jüngst wie ein Sturm gebraust; es hat auch unser Land fast aus den Angeln gehoben. Die Ohren sind uns noch voll davon: es heißt F r e i h e i t !
Muß ich noch dazu sagen, dass Karl Gerok ein Schüler von Gustav Schwab ist, der die griechischen Sagen und Epen in schöne deutsche Prosa fasste? Diese Vorrede hat es in sich. Ob wohl auch Leute unter seiner Kanzel saßen, die an der Revolution beteiligt waren? Die die Enttäuschung miterlebt hatten? Und er beginnt mit so einer Vorrede!
Und dann geht es weiter. Er meint, dies Wort ist
eine Himmelsgabe, aber die Hölle in ihrer Bosheit hat sich dieser Himmelsgabe bemächtigt und einen Fallstrick daraus gedreht, eine Lockspeise gemacht zum Verderben. Im heutigen Evangeliums steht einer vor uns, der kann uns dieses Wort auslegen, kann uns die beste Auskunft geben über die echte Freiheit, und nicht nur Auskunft darüber, sondern die echte Freiheit beut er uns an...
Und dann führt er zu seiner sehr knappen Gliederung hin. Seine Gliederung bestehen immer aus zwei oder drei Punkten, die er manchmal auch in Verse fasst, damit sie leichter zu merken sind. Gute Didaktik nenne ich das. Hier besteht sie nur aus zwei Frageworten:
Kommet, diesem Freiheitsprediger, dem großen Welterlöser wollen wir zuhören und uns, weil's der Text diesmal verlangt, von Ihm zeigen lassen:
die christliche Freiheit,
eine Freiheit
1) wovon?
2) wodurch?
...
Die christliche Freiheit, meine Lieben, wollen wir betrachten. Und das ist eine Freiheit
1) wovon? - Nicht von Gottes Geboten, nicht von den Lasten der Erde, sondern von den Ketten der Sünde...
...
2) wodurch? Wodurch wird sie uns zu Theil? Nicht durch Lüge und Unrecht, auch nicht durch Menschenwitz und Menschenmacht, sondern durch Gottes Sohn und das Wort der Wahrheit.
Ich entschlage mich jetzt der Mühe, hier die ganze Predigt darzustellen. Lesen müßt Ihr selbst. Ich wollte nur mal zeigen, wie der Gerok seine Predigten gliederte. Das finde ich echt klasse! Bei manchen anderen Predigten von ihm ist es so, dass die Kurzzusammenfassung, aus der die Gliederung hervorgeht, meist auf ein ziemlich gutes Textverständnis zurückgeht. Die Gliederungen erklären teilweise schon allein den Bibeltext! Das ist nicht so wie heute, wo die Gliederung nach Schäma F schon vorher feststeht.
Jordanus
Unter den Büchern war auch ein Band mit Predigten von Karl Gerok. Sie waren nach den Sonntagen des Kirchenjahres geordnet. Eine Predigt vom 12. Sonntag nach Trinitatis stammte von 1849 und handelte von Johannes 8, 31-45. Jesus redet mit den Juden, die an ihn glauben. Er erklärt ihnen, wenn sie in seiner Rede blieben, würden sie die Wahrheit erkennen und die Wahrheit würde sie frei machen. Die Juden wundern sich und fragen, wieso sie denn frei werden sollen, sie seien doch niemandes Knechte. Jesus sagt: "Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht!"
Der Text ist noch ein bißchen länger, aber ich geb jetzt nicht alles wieder.
Wie redet nun Gerok über diesen Text?
Er redet erstmal von Freiheit. Ein brisantes Thema zu der Zeit. Die Revolution vom März 1848 war ein Jahr her, und im Badischen hatten die Preußen gerade den von Hecker geführten Aufstand blutig niedergeschlagen. Man kann das alles schön nachlesen im Stefan Heyms Roman "Lenz oder die Freiheit".
Karl Gerok nimmt vor diesem Hintergrund den Faden auf:
Es gibt ein Wort, das wie mit Zauberklang die Herzen der Menschen ergreift. Es klingt in die trübe, schwere Gegenwart herüber wie die Erinnerung an alte, goldene Zeiten und wie die Weissagung einer besseren, schöneren Zukunft. Die edelsten Thaten sind geschehen unter dem begeisternden Panier dieses Wortes, und die schwärzesten Verbrechen sind verübt worden auf Rechnung dieses Wortes. Blut und Thränen ohne Maß hat dieses Wort schon über die Erde gebracht und immer wieder doch bezaubert es die Herzen. Der Sklave lechzt danach in seinen Ketten, der Kranke betet darum in seinen Schmerzen, der Taglöhner seufzt danach im Schweiße seines Angesichts, der Menschenfreund denkt daran in seinen Planen und Entwürfen. Es gibt Zeiten, wo dieses Wort ein Sturm wird, der ganze Völker ergreift, wo es in allen Herzen wie ein Feuer brennt, in allen Adern wie ein Fieber tobt, von allen Lippen wie ein Evangelium erklingt; wo die ganze Gestalt der Welt erschüttert und umgewühlt wird durch dieses Wort, als sollte ein Weltbrand daraus entstehen, bis das Feuer ausgebrannt hat, bis der Sturm ausgewüthet hat, bis das Fieber vertobt hat, bis der Traum zerronnen ist und die Menschheit erwacht und sich ernüchtert die Augen reibt.
Wir kennen's Alle, dieses Wort. Es ist auch durch unsere Zeit jüngst wie ein Sturm gebraust; es hat auch unser Land fast aus den Angeln gehoben. Die Ohren sind uns noch voll davon: es heißt F r e i h e i t !
Muß ich noch dazu sagen, dass Karl Gerok ein Schüler von Gustav Schwab ist, der die griechischen Sagen und Epen in schöne deutsche Prosa fasste? Diese Vorrede hat es in sich. Ob wohl auch Leute unter seiner Kanzel saßen, die an der Revolution beteiligt waren? Die die Enttäuschung miterlebt hatten? Und er beginnt mit so einer Vorrede!
Und dann geht es weiter. Er meint, dies Wort ist
eine Himmelsgabe, aber die Hölle in ihrer Bosheit hat sich dieser Himmelsgabe bemächtigt und einen Fallstrick daraus gedreht, eine Lockspeise gemacht zum Verderben. Im heutigen Evangeliums steht einer vor uns, der kann uns dieses Wort auslegen, kann uns die beste Auskunft geben über die echte Freiheit, und nicht nur Auskunft darüber, sondern die echte Freiheit beut er uns an...
Und dann führt er zu seiner sehr knappen Gliederung hin. Seine Gliederung bestehen immer aus zwei oder drei Punkten, die er manchmal auch in Verse fasst, damit sie leichter zu merken sind. Gute Didaktik nenne ich das. Hier besteht sie nur aus zwei Frageworten:
Kommet, diesem Freiheitsprediger, dem großen Welterlöser wollen wir zuhören und uns, weil's der Text diesmal verlangt, von Ihm zeigen lassen:
die christliche Freiheit,
eine Freiheit
1) wovon?
2) wodurch?
...
Die christliche Freiheit, meine Lieben, wollen wir betrachten. Und das ist eine Freiheit
1) wovon? - Nicht von Gottes Geboten, nicht von den Lasten der Erde, sondern von den Ketten der Sünde...
...
2) wodurch? Wodurch wird sie uns zu Theil? Nicht durch Lüge und Unrecht, auch nicht durch Menschenwitz und Menschenmacht, sondern durch Gottes Sohn und das Wort der Wahrheit.
Ich entschlage mich jetzt der Mühe, hier die ganze Predigt darzustellen. Lesen müßt Ihr selbst. Ich wollte nur mal zeigen, wie der Gerok seine Predigten gliederte. Das finde ich echt klasse! Bei manchen anderen Predigten von ihm ist es so, dass die Kurzzusammenfassung, aus der die Gliederung hervorgeht, meist auf ein ziemlich gutes Textverständnis zurückgeht. Die Gliederungen erklären teilweise schon allein den Bibeltext! Das ist nicht so wie heute, wo die Gliederung nach Schäma F schon vorher feststeht.
Jordanus
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