Tolle Lege
Freitag, 6. Juni 2008
Fußball in Versen
Freitag, 6. Juni 2008, 01:47
Schon der Einband dieses Buchs erweckt Bewunderung. Er sieht aus wie ein Fußballfeld, und eine Grundwahrheit dieses Sports steht wie mit Kreide in den Rasen geschrieben darauf: "Die Wahrheit liegt auf dem Platz."
Nicht nur um wichtige Fußballspiele, sondern um Grundfragen der Menschheit geht es in diesen vorzüglichen Sonetten:

Was ist Realität? Erstaunter Mensch, begreife:
Das Leder fliegt im Raum und landet überall,
wo es auch hingeschickt mit Dropkick oder Drall
an einer Hand. Und nun beschreibt es eine Schleife.

Was nutzt da ein Protest? Was ändert ein Gekeife?
Geht dieser Ball zur Hand? Berührt die Hand den Ball?
Und ist ein Tritt ein Foul? Nur ein Zusammenprall?
Das ganz allein beschließt der Pfiff der Trillerpfeife.

Wohin der Referee das Leder fliegen sah,
entscheidet er allein, präzise, stumm, - doch flott.
Er selbst kreiert den Fakt, zieht weder hü noch hott.

Sein schwarzes Regelbuch ist die Enzyklika.
Er urteilt unumschränkt, das Buch ist polyglott.
Er ist der Souverän, er ist der liebe Gott.


Die Spanne der Zitate reicht von den Mythen der Griechen bis zum Religionsphilosophen Blaise Pascal, und alles ist meisterhaft in Sonette gegossen.
Der Autor Ludwig Harig ist in der DDR aufgewachsen, und seine Meisterschaft im Umgang mit Sonetten bestätigt mir einmal mehr die These, dass im Osten diese Tradition fast ungebrochen fortgeführt und geübt wurde, während man im Westen Short Stories schrieb und sich der Lyrik schämte.
Nur mit solcher Übung kann man diesen Kranz von Sonetten flechten und dabei die Geschichte und die Geschichten des deutschen Fußballs erzählen:

Ein jeder Eckball barg teutonische Gefahr,
war unberechenbar. Manch braver Magyar,
ließ immer wieder sich von einem überraschen.

Am Ende war ihr Spiel, war jeder Schritt vertan.
Denn kaum versahn sie sich, stand zwischen ihnen Rahn
und setzte seinen Ball noch zweimal in die Maschen.


So beschreibt Harig das legendäre Endspiel um die Weltmeisterschaft 1954 gegen Ungarn. Aber auch ganz aktuelle Spiele werden virtuos nachgedichtet:

Jens Lehmann rempelt fair kurz vor der Eckballfahne.
Ganz Bayern ist entsetzt. So kommt es zur Schikane:
Es hallt das halbe Rund fortan von schrillen Pfiffen.

Kommt Lehmann an den Ball, schon pfeift das Publikum.
Die stumpfen Bayernfans - borniert, stupide, dumm -,
sie haben leider nicht den Sinn des Spiels begriffen.


In diesem Band kann man dagegen nicht nur den Sinn des Spiels, sondern auch die ungebrochene Kraft der Sonette begreifen.
Leider muß ich das Buch morgen verschenken.

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